Brustkrebs: Hand auf die Brust- Achtsamkeit in der Brustkrebsfrüherkennung

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Brustkrebs: Studienleiter Univ. Doz. Dr. Michael Medl im Interview über Bewusstseinsbildung und die Arbeit mit den Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen von Discovering Hands.

Interview mit Lilly Derndler

 

Redaktion: Herr Univ. Doz. Dr. Medl, würden Sie uns verraten, warum Sie sich auf Brustkrebs, insbesondere auf Früherkennung und Therapien, spezialisiert haben?

Univ. Doz. Dr. Medl: Ursprünglich war ich in der gynäkologischen Onkologie in der Therapie von Eierstock- und Gebärmutterkrebs tätig. Erst später habe ich begonnen, bösartige Veränderungen der Brust zu behandeln. Dies ist mir ein besonderes Anliegen geworden, da es hier auch die meisten Erkrankungsfälle gibt und Brustkrebs immer noch zu den häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen zählt.

Nach und nach hat dieser Bereich dann den Großteil meiner Zeit ausgefüllt. Als ich zu arbeiten begonnen habe, gab es noch sehr wenige Therapiemöglichkeiten wie Operationen, nur drei bis vier Medikamente und die Strahlentherapie. Heutzutage steht in diesem Bereich ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Verfügung und jede Patientin erhält eine individualisierte Therapie. Mittlerweile ist die Behandlung von Brusterkrankungen meine Hauptbeschäftigung geworden.

Redaktion: Könnte man sagen, dass es sich bei Ihnen um eine Berufung zu diesem Fachgebiet handelt?

Univ. Doz. Dr. Medl: Berufung ist, glaube ich, zu viel gesagt, aber es muss einem auf jeden Fall ein Anliegen sein und persönliche Freude bereiten.

Redaktion: Was hat Sie dazu veranlasst, sich für discovering hands einzusetzen? Wie hat sich das ergeben?

Univ. Doz. Dr. Medl: Das hat sich eigentlich zufällig entwickelt. Ein befreundeter Radiologe hat mich gefragt, ob ich an diesem Projekt mitarbeiten will. Mein Interesse war sofort geweckt, denn ich wusste, dass es schon einmal vor 10 – 15 Jahren ein ähnliches Projekt in Wien gab, bei dem blinde Frauen Brustuntersuchungen mit sehr guten Erfolgen vornahmen. Denn bei blinden Menschen ist der Tastsinn sehr viel besser ausgeprägt und ergänzend zu ärztlichen Untersuchungen ist das eine tolle Möglichkeit. Das Projekt hat mich damals schon fasziniert, und als ich dann die Chance bekam, beschloss ich, mich dafür zu engagieren.

Außerdem finde ich es toll, dass neben den Frauen, die eine sehr gründliche Tastuntersuchung bekommen auch ein einzigartiger Beruf für Frauen mit Sehbehinderung geschaffen wird, der eine Behinderung zur Begabung macht – also eine win-win-Situation für alle Beteiligten.

Redaktion: Wie wichtig ist es für Sie, ein breiteres Bewusstsein für das Thema Brustkrebs zu schaffen?

Univ. Doz. Dr. Medl: Für mich ist es sehr wichtig, dass bei Frauen eine Bewusstseinserweiterung geschaffen wird, sodass sie sich mit der Früherkennung von Brustkrebs befassen, auch was die Bedeutung der Selbstuntersuchung betrifft. Dies kann wiederum zu einer Verbesserung der Vorsorge führen.

Redaktion: Die Tastuntersuchung soll also nicht als alleinige Maßnahme eingesetzt werden, sondern eine Ergänzung zur herkömmlichen Untersuchung durch den Arzt bilden?

Univ. Doz. Dr. Medl: Die Tastuntersuchung soll eine sinnvolle und hilfreiche Ergänzung sein, sowohl für den untersuchenden Gynäkologen als auch für den Radiologen, um spezifische Bereiche der Brust eingrenzen zu können, in denen etwas Auffälliges ertastet wurde.

Redaktion: Wie oft sollte frau zur Mammografie gehen, sich einer ärztlichen Brustuntersuchung unterziehen und eine Selbstuntersuchung durchführen?

Univ. Doz. Dr. Medl: Die Selbstuntersuchung sollte einmal monatlich, gleich im Anschluss an die Regelblutung, idealerweise am fünften bis siebten Zyklustag, stattfinden. Zur Mammografie geht frau idealerweise, in Abhängigkeit ihrer Brustdichte sowie ihres Risikoprofiles, im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung alle 2 Jahre, zur gynäkologischen Untersuchung einmal jährlich. Hier sollte sinnvollerweise die Brust auch von einer MTU untersucht werden.

Redaktion: Wie funktioniert die Selbstabtastung? Können Sie ein paar Tipps geben?

Univ. Doz. Dr. Medl: Frau sollte die Brust sowohl im Liegen als auch im Stehen untersuchen, wobei diese fiktiv in vier Viertel geteilt vorzustellen ist. Jeder Quadrant muss extra auf Auffälligkeiten untersucht werden. Die zweite Hand verwendet man dabei zum Gegendruck. Im Stehen betrachtet man die Brust sowohl bei gesenkten wie auch bei erhobenen Armen, ob Hauteinziehungen, Veränderungen der Größe, plötzlich aufgetretene Asymmetrien oder Rötungen vorhanden sind. Diese sollen beim nächsten Arztbesuch abgeklärt werden.

Redaktion: Wie darf man sich die Zusammenarbeit zwischen Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen und Ärztinnen bzw. Ärzten vorstellen?

Univ. Doz. Dr. Medl: Optimaler Weise sollten diese Tastuntersuchungen in einer Gynäkologie-Ordination, in einem Brust-Ambulatorium oder in einem Röntgeninstitut als Hilfestellung für die behandelten Ärzte dienen.  Ertastet die MTU Auffälligkeiten in der Brust, werden diese exakt lokalisiert, beschrieben und für den Arzt nachvollziehbar dokumentiert. Auf Basis dieser Dokumentation kann der Arzt die Diagnose stellen und dementsprechend die nächsten Schritte festlegen. So kann beispielsweise ein Radiologe mithilfe der Angaben der MTU bei der radiologischen Untersuchung spezielles Augenmerk auf einen bestimmen Bereich legen und genauer prüfen.

Redaktion: Auf Ihrer Website steht, dass Krankheit auch eine Chance sein kann, wie ist Ihr Zugang dazu?

Univ. Doz. Dr. Medl: Eine Krankheit kann eine Chance sein, den Lebensstil zu ändern und anzupassen. Dies betrifft die Bereiche Ernährung, Bewegung und Reduktion beziehungsweise Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Die Rate von an Brustkrebs erkrankten Frauen ist sicherlich im Steigen begriffen, möglicherweise bedingt durch andere Lebens- und Ernährungsbedingungen als noch vor einigen Jahren.  Auch Männer können an Brustkrebs erkranken, jedoch hat dies dann meist genetische Ursachen. In manchen Bereichen der Welt, z.B. im ost-asiatischen Raum, gibt es sehr wenige Brustkrebs-Patientinnen. Jedoch wurde statistisch aufgezeigt, dass Ostasiatinnen, die später in den USA leben, eine deutlich höhere Erkrankungsrate aufweisen, was höchstwahrscheinlich auf den Lebensstil zurückzuführen ist.

Redaktion: Wie gehen Sie persönlich mit der Krankheit Ihrer Patientinnen um?

Univ. Doz. Dr. Medl: Mir liegt jede Patientin sehr am Herzen, natürlich ist eine gewisse Abgrenzung notwendig, sonst wäre es nicht möglich, diesen Job objektiv ausüben zu können. Es muss trotzdem eine gewisse positive Grundstimmung zwischen Patientin und Arzt bestehen, auch auf der persönlichen Ebene.

Redaktion: Danke für das Gespräch!

Liest man Patientinnenbewertungen auf diversen Ärzteforen im Internet, wird das herausragende Einfühlvermögen von Univ. Doz. Dr. Medl besonders gelobt. Vor uns sitzt jemand, der sich mit Herz und Seele der Aufgabe verschrieben hat, Brustkrebs mittels verbesserter Vorsorgeuntersuchung zu bekämpfen. Dies ist nun mit discovering hands möglich, einem Projekt, das nach Aussage von Univ. Doz. Dr. Medl eine triple-win-situation darstellt – für Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen, aber auch für Frauen mit Sehbehinderung.